
Kleiner Aufsatzschrank, Wien um 1906/10
Aufwendig ausgeführtes Möbel der bedeutenden Wiener Möbelmanufaktur Bernhard Ludwig.
Auf einem geschlossenen Sockel ruhen zwei übereinander gesetzte kubische Elemente. Der obere Aufsatz ist breiter bzw. überstehend mit zwei Türen und konvexer Vorderfront sowie im Inneren mit zwei Fächern gearbeitet. Der darunterliegende, auf dem Sockel ruhende Aufsatz ist mit vier Schubladen ausgeführt.
Außergewöhnlich bei diesem Entwurf sind, neben den aufwendigen Marketerien sowie Beschlägen, die vier seitlichen reich mit Blattwerk beschnitzten Dekorationselemente, welche das Möbel optisch mit Blattranken von der Wurzel bis zur Krone in seiner Höhe umfangen. Die reich mit Jugendstil — Ornamentik , getriebene Messingbeschläge sind versilbert ausgeführt. Das Möbel ist außen in Walnuss, sowie in seinem Inneren in Birke furniert. Die reichen Intarsien sind mit edlen furnieren wie Thuja, Ahorn und Palisander gearbeitet.
Alle Schlösser sind mit Bernhard Ludwig Wien und mit der Nummer 839 signiert. Das außergewöhnliche und sicher nur in einer kleinen Stückzahl, meist auf Auftrag ausgeführte Möbel, war Teil eines Entwurfes für ein Speisezimmer mit der Bezeichnung Heimat und wurde in den erhaltenen Aufzeichnungen als Silberkasten bezeichnet .
Ein baugleiches Speisezimmer befindet sich in der Sammlung des Museums für Angewandte Kunst — MAK
Eine ausführliche Dokumentation zu diesem Möbel finden wir in der Literatur: Vera J. Behal, „Möbel des Jugendstils“ Sammlung des Österreichischen Museums für angewandte Kunst Wien, Abbildung Seite 197, Nr. 149
Bernhard Ludwig zählte zu den führenden Möbelfabrikanten in der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie. Als Möbel- und Innenausstatter mit Niederlassungen in Wien, Brünn, Triest, Bukarest, Kairo und Alexandrien, erzeugte die Firma neben einfachen Möbeln in Serienproduktion, qualitativ hochwertige Interieurs und war als Ausstatter von Schlössern und Residenzen, u.a. des rumänischen Königshofs, international tätig. Darüber hinaus war Ludwig als Hofkunsttischler des Historismus maßgebend am Aufbau der Wiener Ringstraße, u.a. an der Ausstattung des Justizpalastes, dem Parlament und dem Burgtheater beteiligt. Neben seiner Beschäftigung als Möbelausstatter machte sich Ludwig auch einen Namen als ideenreicher Erfinder diverser Geräte und Techniken wie dem Brandstift, dem Wassermotor und der Furnierschälmaschine.
Neben seiner umfangreichen Produktion beteiligte sich das Unternehmen an internationalen Ausstellungen wie der Weltausstellung in Wien 1873, der Internationalen Elektrischen Ausstellung in Wien 1883, der Jubiläums-Gewerbe-Ausstellung in Wien 1888, der Weltausstellung in Barcelona 1888, der Jubiläumsausstellung in Wien 1898, der Winterausstellung im k.k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie in Wien 1903 – 1904, der Imperial-Royal Austrian Exhibition in London 1906 und der Kunstschau in Wien 1908.
Geschichte:
Die Möbeltischlerei “Bernhard Ludwig“ ging auf den gleichnamigen Gründer Bernhard Hieronymus Ludwig (2.3.1834 Mülsen St. Jakob — 12.9.1897 Wien) zurück. Dieser erlernte das Tischlerhandwerk von seinem Vater Johann August Judwig (26.6.1796 Mülsen St. Jakob — 12.6.1875 Mülsen St. Jakob) im sächsischen Mülsen. Nach seiner Ausbildung im väterlichen Betrieb von 1848 bis 1850 ging Ludwig im Juni 1851 als Tischlergeselle für ein Jahr auf Wanderschaft, die ihn von Leipzig, Halle, Braunschweig und Wolfenbüttel nach Hamburg führte, wo er für zwei Jahre blieb und Zeichenunterricht nahm. Nach seiner Freistellung beim Militär in seiner Heimat kam Ludwig 1855 über Prag nach Wien, wo er zunächst als Tischlergehilfe und Werkführer bei Michael Winter, Philipp Schmidt, Bernhard Wörmann, Theodor Uhl und Andreas Matyasovsky arbeitete.
Daneben besuchte er die seit 1852 bestehende private Zeichenschule von Gottlob Göhre (gestorben 1858⁄1859 Wien) in der Gumpendorfer Straße 117 Wien VI, wo er durch sein zeichnerisches Talent schnell auffiel. Im Mai 1858 absolvierte er eine Ausbildung zum Bildhauer bei Heinrich Becker (gestorben September 1871), der ebenfalls an dieser Adresse arbeitete. Nach dem Tod von Göhre übernahm Ludwig kurzzeitig dessen Zeichenschule. Im April 1862 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Am 20. November des gleichen Jahres konnte er eine eigene Zeichenschule für Tischler eröffnen, zu Beginn in der Windmühle 108, ab 1863 in der Gumpendorfer Straße 117 in Wien VI. Diese existierte vermutlich bis 1864. Die Finanzierung erfolgte durch die Einnahmen aus seiner 1860 patentierten hölzernen Waschmaschine, die er gewinnbringend in der Monarchie verkaufte. 1867 machte sich Ludwig schließlich selbstständig und gründete seine eigene Tischlerei, ebenfalls in der Gumpendorfer Straße 117 in Wien VI.
Zu seinen ersten Mitarbeitern zählte der spätere Kunstmöbelfabrikant August Friedrich Ungethüm (4.11.1834 Eibenstöck — 30.9.1909 Wien). In dieser Zeit erhielt er zahlreiche Aufträge für Möbel und Innenausstattungen von Adel und Großbürgertum, u.a. den Familien Liechtenstein, Karoly, György, Volpini, Hutter und Cilli. Das Jahr 1873 sollte für ihn ein Segen und Fluch zugleich sein. Neben seiner erfolgreichen Teilnahme an der Wiener Weltausstellung vernichtete ein verheerender Brand einen Großteil seines Betriebs. 1874 erhielt er den Titel des “k.k. Hoflieferant”. Im gleichen Jahr übersiedelte er aufgrund von begrenzten Räumlichkeiten kurzzeitig in die Mariahilfer Straße 73 und Esterházygasse 24 in Wien VI, ehe er sich 1877 in der Münzwardeingasse 2 in Wien VI niederließ und Zweitniederlassungen in Suben in Oberösterreich und in Karthaus (Valdice) in Böhmen gründete. 1878 wurde Ludwig zum “k. u. k. Österr. u. königl. rumän. Hof-Kunsttischler” ernannt.
1883 präsentierte er auf der Internationalen Elektrischen Ausstellung in Wien seinen selbst erfundenen elektrischen Brandstift, den er später durch seine patentierte Brandtechnik bzw. Pyrotypie ersetzte — ein günstiges Verfahren, das die Ausführung von Flach- und Hochreliefs am Holz gestattete und aufwendige Intarsien ersetzte. Selbe Erfindung sorgte für weltweites Interesse, so vergab er Patente nach Großbritannien und die USA. 1886 wurde ein weiteres Geschäftslokal am Großen Platz 14 in Brünn (Brno) in Tschechien eröffnet. 1889 beauftragte man den Architekten Carl Langhammer (1840 Wiesenberg — 30.12.1906 Wien), die Firmenzentrale in der Münzwardeingasse 2 in Wien VI zu einem repräsentativen Wohn- und Geschäftshaus auszubauen. 1892 konnte die Familie schließlich einziehen. Tief- und Hochparterre sowie der erste Stock wurden für Ausstellungszwecke genutzt, der Rest diente als privater Wohnraum.
Aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs und der steigenden Anforderungen entschloss man sich 1895 zum Bau einer zweiten Fabrik mit Sägewerk und Bautischlerei nahe dem Bahnhof in Liesing in Wien XXIII. Die Planung übernahm sein gleichnamiger und ältester Sohn, der Architekt Bernhard Ludwig (16.8.1866 Wien — 29.11.1939 Wien) und sein Kollege Ferdinand Franz Berehinak (6.5.1863 Brünn — 11.7.1927 Wien). Die Fertigstellung der Fabrik sollte der 63-jährige Bauherr nicht mehr erleben, Bernhard Ludwig verstarb am 12. September 1897 in Wien. Nach dem Tod des Gründers Bernhard Ludwig führten seine Witwe Pauline Ludwig, geb. Janik (15.1.1842 Reindorf (?) — 22.8.1913 Wien) und sein Sohn Bernhard Ludwig das Unternehmen weiter.
Dieser erhielt 1898 den Titel des »k.k. Hoflieferanten« und konnte die Firma bis zum Ersten Weltkrieg schrittweise ausbauen. Durch die Bekanntschaft mit dem kunstinteressierten König Carol I. von Rumänien 1897 erhielt die Firma mehrere Großaufträge, darunter die Ausstattung der königlichen Schlösser Pelisor, Peles, und Foisor in Sinaua und Cotroceni in Bukarest. 1900 wechselte das Geschäftslokal an den Großen Platz 14 in Brünn (Brno) in die Basteigasse 18 und 1907 in die Basteigasse 4. 1905 eröffnete man eine weitere Filiale in der Via Stadion 16 in Triest. Neben Ludwig als Geschäftsinhaber fungierte ab 16. Mai 1916 seine Frau Eugenie Ludwig, geb. Vaugoin (30.12.1873 Wien — 5.11.1950 Suben) als Prokuristin. Diese entstammte der traditionsreichen Silbermanufaktur “Jarosinski & Vaugoin”. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zählte das Unternehmen 400 bis 500 Mitarbeiter. Die Nachwirkungen des Krieges und die Weltwirtschaftskrise zwangen die Firma 1929, die Fabrik in Liesing in Wien XXIII zu schließen. Am 15. September 1942 ging der Betrieb an Ludwigs Tochter Pauline Hinreich-Ludwig (30.9.1916 Wien — 13.12.1998 Vöcklabruck) über. Am 29. März 1943 wurde die Niederlassung in Triest aufgelöst. Mit 1. Jänner 1970 wurde das Unternehmen in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, als Gesellschafter fungierten Pauline Hanreich-Ludwig und der Diplomingenieur und Politiker Georg Hanreich (geb. 22.10.1939 Wien). 1976 ging das Unternehmen in Konkurs.
Vom Erbe des Familienunternehmens existieren heute noch das von Georg Hanreichs Bruder Bernhard Hanreich (geb. 7.6.1945 Suben) geführte Bernhard-Ludwig-Archiv und die Kreativfabrik B. Ludwig Ges.m.b.H., Ateliers für Kunstschaffende in den ehemaligen Fabriksgebäuden in der Münzwardeingasse in Wien VI. Eine Möbelrestaurierung wird auf Schloss Feldegg in Pram in Oberösterreich von Georg Hanreichs Sohn Bernhard Hanreich (geb. 29.8.1967 Wien) geführt.
Literatur: „Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne“ (Seite 147 ff.) Künstler, Auftraggeber, Produzenten, Band 37 Eva B. Ottillinger (Hg.) Dr. Stefan Üner, M MD




